Pascal Oudet
"Laissez entrer le soleil"
Er zitiert Paul Valéry und Saint-Exupéry. Sein Schatz ist ein Holzlager. Der Ingenieur und Absolvent der École centrale des arts et manufactures, der sich ein Kunsthandwerk zum Beruf gemacht hat, würde um nichts in der Welt einen anderen Weg einschlagen. Pascal Oudet, dem im Jahr 2023 für sein Werk Laissez entrer le soleil („Lasst die Sonne herein“) der Liliane-Bettencourt-Preis für intelligente Hände verliehen wurde, ist ein wunschlos glücklicher Holzdrechsler. In seinem Atelier erzählt jeder Baum eine Geschichte. Die Bäume werden grün gewählt, also frisch. Wenn also ein Auftrag kommt und das Holz nicht vorhanden ist, muss man sich bis zur nächsten Fällsaison gedulden. Das Holz wird hier behandelt wie Erdbeeren. Darauf zu warten, macht das Erlebnis schöner, ja sogar unvergesslich
Auf der Domaine von Chaumont-sur-Loire präsentiert Pascal Oudet die Skulptur Laissez entrer le soleil, in der die Kraft der Eiche in der unendlichen Zartheit des fein gedrechselten Holzes zum Ausdruck kommt. Mit diesem Vorschlag legt er eines seiner vollendetsten Stücke vor, bei dem ein künstlerischer Ansatz und einzigartiges handwerkliches Können ineinanderfließen. Auf technischer Ebene wurde es aus einer 70-jährigen Eiche hergestellt, die aus einem Wald der Côte d‘Or kommt. Ein Teil ihres Stammes wurde geduldig bearbeitet, bis diese unglaublich leichte Skulptur (gerade mal 300 g) daraus entstand. Die ergreifende Form offenbart die innerste Geschichte der Eiche, sie bringt ihre Ringe ans Licht, die Aufschluss geben über Abschnitte ihres Wachstums und Unglücke in ihrem Leben, die Qualität ihrer Umwelt und die klimatischen Bedingungen, in denen sie sich entfalten konnte. Als stiller Zeuge der Zerstörung unseres Ökosystems trägt das Werk an seinem Rand die Spuren dieser letzten vier außergewöhnlichen Dürrejahre. Laissez entrer le soleil ist nicht nur eine Ode an die Schönheit, es ist auch ein Plädoyer für das Überleben der Bäume und des Waldes als unentbehrliche Gefährten der Menschheit.
Dank der Unterstützung der Bettencourt-Schueller-Stiftung plant Pascal Oudet, einen kompletten Baum zu bearbeiten, und nicht mehr nur Teile des Stammes. Dieses monumentale Projekt wird zwangsläufig zu einem Wechsel der Größenordnung führen und eine große Veränderung seiner Arbeitsweise darstellen. Der Künstler hofft auch, sich bald einen kleinen Wald zuzulegen, um den Bäumen beim Wachsen zuzusehen. Ganz einfach.
BIOGRAPHISCHE ANGABEN
Pascal Oudet, der 1972 in Vesoul geboren wurde, ist Holzdrechsler. Als ehemaliger Student der École Centrale ist er wohl der einzige in Elektronik spezialisierte Absolvent dieser renommierten Ingenieursschule, der seine Zeit mit Holzhandwerk verbringt. Anfangs war das Drechseln für ihn nur ein Freizeitvergnügen. Beim Versuch, die Maserung des Holzes zur Geltung zu bringen, arbeitete der Ingenieur jedoch weiter, bis ein etwas zu dünnes Stück herauskam. Die auf diese Weise freigelegten Ringe erzeugten einen so interessanten Effekt, dass dieser zum Ziel des Ganzen wurde. Geduldig und entschlossen entwickelte Pascal Oudet seine Technik, bei der Holz gedrechselt wird, bis es fein wie Spitze ist, und reduzierte seine Tätigkeit als Ingenieur auf eine Teilzeitbeschäftigung. Die einzigartige optische Wirkung seiner Stücke erregte bald Aufsehen. Vollkommen begeistert von dieser Arbeit beschließt der Kunstschaffende nun, das Ingenieurwesen endgültig an den Nagel zu hängen. Seit 2005 gibt er sich als professioneller Drechsler voll und ganz seinen hauchzarten Holzarbeiten hin.
Der in der Nähe von Grenoble ansässige Pascal Oudet ist Mitglied in der Association Française pour le Tournage d’Art sur Bois und außerdem Verwalter und Kassenwart bei den Ateliers d’Art de France.