Kunstsaison 2021-2022:
Chaumont-Photo-sur-Loire
20. NOVEMBER 2021 - 27. FEBRUAR 2022
Diese vierte Ausgabe von Chaumont-Photo-sur-Loire führt fünf Künstler bzw. Künstlerduos zusammen, die durch ihre Ergriffenheit vor der Landschaft miteinander verbunden sind und immer „mit offenem Auge und klopfendem Herzen“ vor ihr stehen, wie François Cheng es so schön formulierte, egal ob die Landschaft vorbehaltlos aufgrund ihrer Pracht bewundert oder in der ganzen Komplexität einer vom menschlichen Handeln tief verletzten Schönheit betrachtet wird.
Ein paar dieser Bilder sind „Klassiker“, ein Stück Geschichte der Fotografie. Andere halten für den Betrachter Überraschungen bereit, die ihn stutzig machen, vielleicht auch in ihren Bann ziehen werden. Zwischen Schwere und Leichtigkeit, Schwerkraft und Anmut findet das Gleichgewicht statt. Denn es ist wirklich da, schockiert durch erhabene Schönheit, beruhend auf Schwere und Schwerkraft. Eine zeitgenössische Veranstaltung, die der Landschaft gewidmet ist, kommt um das Umweltdesaster nicht herum. Das Publikum des Domaine kennt die Art, wie man sich auf diesem Gelände für das Nachdenken über nachhaltige Entwicklung engagiert, etwa über starke, aktuelle Themen wie die Rückkehr zur Mutter Erde (2020) und die Biomimese (2021). Historisch gesehen ist die Fotografie eng mit der Dokumentation unserer Welt verbunden. Fotograf zu sein bedeutet, in allen Lebenslagen die Augen offenzuhalten. Wer jedoch heutzutage die Augen offenhält, der steht zwei Extremen gegenüber: einerseits der Schönheit der Welt, die mit ungebrochener Stärke noch immer vorhanden ist; andererseits dem Grauen irreversibler Schäden, die der Umwelt durch das menschliche Tun zugefügt werden. Diese beiden Pole, die im Gegensatz zueinander stehen, aber dennoch beide gleichermaßen unsere Welt charakterisieren, wollen die Französin Tania Mouraud und der Kanadier Edward Burtynsky mit einem einzigen Blick ins Auge fassen. Beide präsentieren Reihen, die verwüstete Landschaften zum Thema haben, deren Bilder aber dennoch von einer erhabenen, geradezu malerischen Schönheit sind. Keine krankhafte Faszination, im Gegenteil: die Kraft dieser Bilder, ihre brennende Schönheit berühren uns in unserem tiefsten Inneren, treffen uns am empfindlichsten Punkt.
Im schwerwiegenden Kontext der jüngsten Ereignisse in Afghanistan und in Erinnerung an die Buddha-Statuen von Bamiyan erschienen uns die ganz neuen Bilder von Pascal Convert als etwas Offensichtliches. Sie zeigen nicht etwa den einzigartigen Felsen und die verlorenen Skulpturen, die im Louvre-Lens und im Musée Guimet zu sehen sind, sondern das was die Buddhas sahen und was man aus den Höhlen heraus erkennen konnte. Diese Fotografien, deren ergreifende Wirkung heute um ein Vielfaches stärker geworden ist, geben Anlass, die prächtigen Landschaften von dem Buddha-Felsen aus zu betrachten, durch den Rahmen aus Sandstein dieser facettenreichen Höhlen, die von Menschenhand erschaffen wurden.
In L’Œil esthétique schreibt Jacques Rancière, Verfasser eines kürzlich erschienenen Essays, der im Dialog mit der Reihe La ferme du Garet von Raymond Depardon steht: „Es gibt keinen Aufstand angesichts des Unerträglichen, der nicht mit der Genugtuung eines ästhetisch geschulten Blickes einhergeht.“ In einem intimistischeren Rahmen lässt uns La ferme du Garet in dieser Auswahl in das Werk eines der bedeutsamsten französischen Fotografen und Dokumentaristen eintauchen. Die Stimme wird leiser und man kneift die Augen zusammen angesichts dieser Bilder von einem Bauernhof, wie es so viele gibt, ein Zeuge des Verrinnens der Zeit, der Ländereien und ihrer Gestaltung, des Leben eines Menschen und einer Familie. Bei der Betrachtung denkt man darüber nach, was die Menschen mit ihrem Lebensraum verbindet, und darüber, wie man diese Verbindung halten oder brechen kann.
Schließlich richtet das französische Fotografenduo Clark und Pougnaud einen originellen, aber durchaus tiefsinnigen Blick auf die idyllische Landschaft, die einst ihr Eden war, betrachtet mit einer ansteckenden kreativen Inbrunst.
Fünf Welten mit vielfältigen Echos, die uns durch ihre Emotionalität ebenso fesseln wie durch ihre Nachdenklichkeit. Wir werden mit einem klareren Kopf und träumerischer denn je aus dieser Ausstellung gehen, denn wir denken wohl, wie der Dichter Pierre Reverdy in „Le bonheur des mots” (La liberté des mers, 1950) schrieb, dass „die Zukunft näher, geschmeidiger, verführerischer“ ist, weil sie zwar Gefahren, Bedrohungen birgt, wir aber schon heute staunen und handeln können.