Die in Chaumont-sur-Loire von Ralph Samuel Grossmann ausgestellte Fotoserie zeigt seine Beobachtung der Flora auf den Berliner Brachgeänden. Indem er die Pflanzen wie in einem modernen Kräuterbuch klassifiziert, zeigt er in seinem Ansatz zwischen Kunst und Wissenschaft die Vielfalt der Farben und Strukturen der Pflanzen. Bei seinen täglichen Spaziergängen pflückt er wild wachsende Blumen auf den Brachgeländen, dann fotographiert er sie in neoklassischen Porzellanvasen im Atelier, wodurch er ihre beeindruckende Vielfalt an Formen und Farben hervorhebt.
„Durch die Veränderungen in den Städten entstehen Brachen. In der Regel finden sich städtische Brachen an Gleisanlagen und Ufern von Wasserläufen. Die Stadtplaner haben oft dazu beigetragen, diese Gebiete um alte Gleise oder entlang von Flüssen zu sanieren, um einen Übergang für Pflanzen und Tiere im städtischen Verkehrsnetz zu schaffen. So auch Berlin, das ein lebendiges Beispiel für die Auswirkung eines solchen Netzes auf die Biovielfalt von Pflanzen (und Tieren) ist. Dieses konkrete Merkmal des Stadtgebiets Berlin bildet eine starke Identität, ist von besonderer urbaner Poesie, bei der Natur und moderne Stadt eine Verbindung eingehen. In der Serie werden drei Brachen lokalisiert, fotographiert und ihre Flora bei Spaziergängen gesammelt. Daraus entstand ein botanisches Kompendium.
Photon- Licht- Streuung- Farbe / Pflanze- Licht- Farbe- Streuung :
Die Pflanze vermehrt sich durch Versamen. Die Lichtbeugung ist gewissermaßen ein Ausstreuen von Photonen auf die Oberfläche und ihrer Brechung im Raum. Sie ist für die Wahrnehmung von Farben sehr wichtig und zeigt auch die Formen des Realen. Um diese Fakten raffiniert aufzuzeigen, wurde ein doppeltes Aufnahmesystem eingesetzt. Zunächst ein Passfoto der Pflanze: In Szene gesetzt und frontal mit Blitz aufgenommen. Aus diesem Blitz gebeugter Photonen lässt eine digitale Vergrößerung die kleinste Einzelheit erkennen. Diese mikroskopische Aufnahme zeigt sich wie eine (für unsere Augen) unsichtbare und dennoch mit dem makroskopischen Bild verbundene Realität. Der Phänotyp (die tatsächliche Form der Pflanze) wird somit mit einem Farbextrakt assoziiert. Diese beiden Realitäten ergänzen sich, sie liegen nebeneinander wie zwei gespiegelte Realitäten, die sich nicht vereinen können.
Botanische Identität + Historisches Echo:
Im 18. Jahrhundert wird zwischen 1735 und 1758 das Pflanzenklassifizierungssystem von Linné veröffentlicht, während in Europa mehrere Porzellanmanufakturen gegründet werden. 1753 stellt Oudry der Académie seine berühmte „weiße Ente“ vor und befasst sich mit dem Farbenreichtum eines „weißen Motivs auf weißem Hintergrund“. Der Gedanke, eine Pflanze zu identifizieren, ist also in einem speziellen historischen Kontext entstanden, in dem Beobachtung, Kunst und Wissenschaften im Dialog standen. Die Wahl einer Porzellanvase als Gefäß für die Pflanzen ist somit gewollt. Sie macht Sinn. Sie passt zu diesem Vorgehen des Pflückens, Beobachtens, Identifizierens in einer Geschichte, in der Kunst und Wissenschaften aufeinandertreffen. Sie erinnert an diese Vergangenheit und verbindet diese mit der heutigen Realität. Von einer Epoche der Wissenschaft zu einer anderen, unserer Epoche. Das erste Bild zeigt den Aufbau der Pflanze. Es wird ergänzt durch ein zweites Bild, einen mikroskopisch kleinen Farbcode, der wie eine Metapher der Genetik und auf jeden Fall wie eine einzigartige Signatur der optischen Realität unter gebeugtem Licht verstanden werden kann. Dieses bunte, lichtüberflutete Muster des Realen ist auch ein quasi malerisches Thema, eine Übersetzung der vom Licht erhellten Farbe, die unser Auge als wahr erkennen kann.
Rundgang der Ausstellung:
Diese beiden Realitäten werden im Ausstellungsraum gezeigt, können sich aber nicht verbinden, sie bleiben nebeneinander stehen als vereinte Fragmente und Zeugnis des Spiels der Beugung des Lichts. Die Blumen sind durch Form und Farbe identifiziert, makro- und mikroskopisch gespiegelt. Die Brache ist umgeben von Bildern der Pflanzen, die auf ihr wachsen, dargestellt: Auszug des Motivs, Auszug eines Details in einem als exponentiell empfundenen Maß.
Als Kontrapunkt zu den Pflanzenbildern in kräftigen Farben bilden die Aufnahmen der Brachen eine dokumentarische Reportage. Diese dicht angrenzenden Orte werden als das gezeigt, was sie sind: Als Raum der städtischen Metamorphose. Orte, an denen Natur und Elemente der Stadt eine „urbanisierte Natur“ im heiklen Gleichgewicht zwischen freiem Wachsen und Einschränkung durch Beton bilden. Räume zum Luftholen in der Stadt, in der sich Natur und Gebäude sowohl in der Realität als auch in unserer Fantasie vermengen. Obwohl die Brachen nur klein sind, ist der Pflanzenreichtum sehr groß. Die Identifizierung der Pflanzen und ihre Abbildung erhöht für unseren Verstand und unsere Sinne den Wert des anscheinend unbedeutenden Brachgeländes, das durch die Natur wieder zum Leben erweckt wird“. Ralph Samuel Grossmann
BIOGRAFISCHE ANGABEN
Ralph-Samuel GROSSMANN
FRANKREICH
Der Fotograph, Magister in zeitgenössischer Kunstgeschichte und Absolvent der Tyler School of Art in Philadelphia, wo er das Fach Fotographieren lehrte, stellt erstmalig 2001 in New York aus.
Er hat in Berlin gelebt und gearbeitet und sich vor kurzem wieder in Paris niedergelassen. Er wird von der Galerie Nathalie Béreau (Paris / Chinon) und von PanoramapARIS (Boulogne-Billancourt) vertreten.
Nach seiner Rückkehr aus den USA entwickelt er zwischen 2003 und 2007 seine Aufnahmemethode, stellt in Berlin und Paris die Serie Désirella mit Fotographien und Videos aus und arbeitet als Ausstellungskurator im Musée Carnavalet in Paris.
Zwischen 2008 und 2012 lebt er in Berlin und schafft, zwischen Frankreich und Deutschland, eine neue Serie über Landschaften und Wolken: „le Monde Voilé“ (verschleierte Welt). Diese Serie war ein großer Erfolg bei den Kritikern und wurde 2008 bis 2012 sechsmal in Frankreich, Griechenland und Deutschland ausgestellt. In drei von diesen Ausstellungen wird sie von einer Serie aus Holz- und Steinskulpturen begleitete, den „Séismes“ (Erdbeben).
Nach seiner Rückkehr nach Frankreich Ende 2012 arbeitet der Künstler derzeit an der Serie Gebeugtes Licht, die sich mit der Darstellung der Flora und Aufnahmen vom Wald befasst.