Thierry Ardouin
"Histoires de graines"
Die Erforschung der Welt der Samen begann im Jahr 2009. Zu dieser Zeit arbeitete Thierry Ardouin für das Kollektiv Tendance Floue, das er 1991 mitbegründet hatte, an einer Dokumentation über die französische Landwirtschaft. Bei seinen Recherchen entdeckte er die Existenz des Catalogue officiel des espèces et variétés végétales, eines Verzeichnisses der in Frankreich angebauten Gemüse-, Getreide- und Obstsorten. Überraschenderweise sind die meisten Samen in diesem Katalog durch Patente geschützt, die von großen Saatgutunternehmen gehalten werden. Vor einem politischen Hintergrund, in dem es viel um Illegalität geht, stellt der Fotograf fest, dass es „patentiertes“ und damit in gewisser Weise „legales“ Saatgut gibt. Eine Frage drängt sich damit auf: Sieht ein „legaler“ Samen genauso aus wie ein „illegaler“ Samen?
Da die Samen so winzig sind, beschließt er, jedem Samen so nahe wie möglich zu kommen. Thierry Ardouin, der von der Marke Olympus, dem derzeitigen Mäzen des Kollektivs, unterstützt wird, erhält eine wissenschaftliche Ausrüstung: eine binokulare makroskopische Stereolupe, die einem Mikroskop ähnelt und an die man einen Fotoapparat anschließen kann, allerdings ohne Objektiv. Das Scharfstellen ist sehr schwierig und dauert für jede Aufnahme etwa zehn bis fünfzehn Minuten. Mit dieser Ausrüstung kann der Fotograf erstaunliche Entdeckungen machen. So erfährt er zum Beispiel, dass die mikroskopisch kleinen Härchen auf den Tomatensamen oder die Haken an den Karottensamen für ihre Verbreitung nützlich sind.
Thierry Ardouin ist höchst erstaunt über die Schönheit der Samen, die er in den Sammlungen des Nationalmuseums für Naturgeschichte, des internationalen Agrarforschungszentrum für die Entwicklung (CIRAD) und des Biologischen Ressourcenzentrums für Strohgetreide (CRB), Clermont-Ferrand, entdeckt. Insgesamt wurden über 500 Porträts erstellt. Die von Thierry Ardouin fotografierten und mit größter Sorgfalt ausgewählten, beleuchteten und zentrierten Samen stören unsere Subjektivität: Sie werden zu Symbolen, die weit entfernt von einem allgemeinen Bild unsere Beziehung zum Ursprung hinterfragen.