Eselsgehege
H. Carole Solvay
"L’arbre à palabres" und "Résonances"
published at 03/02/2021
Federn und Fäden aller Art dienen Carole Solvay als Ausdrucksmittel ihrer inneren Welt und und ihrer feinsinnigen Wahrnehmung der Dinge. Ihre spinnenartigen Verästelungen oder graziösen Nester faszinieren durch ihre Geschmeidigkeit und ihre unmerklichen Schwingungen.
„Es fällt mir sehr viel schwerer, über meine Arbeit zu sprechen, als sie zu tun. An guten Tagen läuft es von ganz alleine. Ich brauche nur ohne Erwartungen und in aller Ruhe mein angefangenes Werk zu betrachten, zu überlegen, was das werden könnte und loszulegen, und wenn es mir nicht gefällt, suche ich nach anderen Lösungen. Und ich mag es, wenn ich dabei Leben finde, Poesie, oder wenn ich überrascht werde.
Wenn ich einen schlechten Tag habe, muss ich Draht bearbeiten, Federn zuschneiden und einfädeln – lauter kleine Arbeiten, die mich fokussieren und beruhigen.
Ich habe lange nach meinem Medium gesucht, dann wurde durch Zufall deutlich, dass es die Feder sein müsse: einerseits wegen meiner Faszination für die Leichtigkeit des Seins und die der Feder und andererseits aufgrund meiner Leidenschaft für Vögel. Dass ich Autodidaktin bin, hat mir eine Freiheit gegeben, die ich sonst nicht gefunden hätte. Zunächst suchte ich nach Mitteln und Wegen, die Feder umzuwandeln. Es nützte nichts, Angst davor zu haben, sie zu verstümmeln. Also begann ich, die Teile zu wählen, die ich nutzen wollte: Fahne, Schaft, Spule. Ich schuf kleine Stücke, indem ich Fragmente verschiedener Federn zusammenstellte, und bezeichnete sie als Talisman. Mit der Erfahrung gewann ich an Sicherheit und meine Arbeit weitete sich aus. Ich begann, die Wände zu verlassen und in den den Raum einzuziehen. Ich befasste mich mit Kalligrafie, dreidimensionalem Zeichnen, dem Begriff der Bewegung, den Schwingungen des Materials. Was sich in der Luft bewegt, verwandelte ich in das, was auf dem Meeresgrund lebt: Korallen, Quallen, Muscheln. Die Zeit, die ich für eine dieser Korallen brauchte, kam in unendlich verkleinerter Form der Zeitspanne nahe, in der sich eine Koralle am Meeresgrund bildet und wächst.
Auf meine Weise stelle ich mir auch die Dinge der Natur vor. Sie bündeln alles, was ich mag, wenn ich arbeite: Zeitgefühl, das Werk, das jeden Tag neu bearbeitet wird, die Bewegung, das Luftige und meine Vorstellungswelt von Dunst, Regen und Dampf im direkten Dialog mit den Wänden oder mit dem Boden. Vielleicht erinnern sich die alten Mauern auch an das was sie von der Welt gesehen haben, wie die alten Bäume”. Carole Solvay
L’arbre à palabres und Résonances
„Der Arbre à palabres ist das Ergebnis eines langen, meditativen und schöpferischen Prozesses, dessen bildhauerische Arbeit letzten Endes vor Ort zur Umsetzung kam. Auch wenn die Studien im Atelier beginnen, hat die Skulptur erst in der Eselsgehege im Lauf der Tage intuitiv ihre Gestalt angenommen. Das Licht in diesem Raum ist sehr schön und wechselhaft, und ich wollte eine luftige, organische Hängevorrichtung erschaffen, die den Sonnenstrahlen und Luftzügen ausgeliefert ist. In diesen Tausenden von Schwingungen erwacht der Arbre à palabres zum Leben und schlägt Wurzeln.
Im oberen Stockwerk habe ich Résonances installiert, eine meiner Madreporen. Es ist eine Art Gegenstück zum Arbre à palabres. Eine andere Welt, dunkel und unter Wasser, gedämpft. Für mich geht eine Art tiefer Atem von dieser großen Koralle aus, wie ein Echo zum benachbarten Werk, als wären die beiden voneinander abhängig. Und als würde Résonances aus den Schwingungen und der Photosynthese des Arbre à palabres Kraft schöpfen.“ Carole Solvay
BIOGRAPHISCHE ANGABEN
Carole SOLVAY
BELGIEN
Carole Solvay wurde 1954 geboren. Als Kind beobachtet sie stundenlang den Flug der Schwalben und die Bewegung des Windes in den Gräsern und lauscht dem Säuseln der Blätter.
Wenn sie spazieren geht, liest sie Federn auf, die sie unterwegs findet. Luftige und organische Federn, leicht, komplex und fein, aber widerstandsfähig. Schwarze, weiße und aschgraue Federn, deren dezente Schönheit das beinahe fluoreszierende Schillern der Fahnen von Pfauenfedern noch atemberaubender macht.
Allein und mithilfe von Büchern lernt sie zu spinnen und zu weben und findet Gefallen an dieser einsamen, repetitiven Tätigkeit. Bald vernäht sie die Federn und fädelt sie auf Drähte, um federastfreie Talismane zu kreieren. Die ersten aus diesem ungewöhnlichen Material entstandenen Werke nehmen lebendige Formen an. „Die Ideen kommen mir bei der Arbeit. Ich versuche, frei und ohne Erwartungen zu bleiben. Ich liebe, was mir lebendig, was mir poetisch erscheint, oder was mich selbst erstaunt.“
Carole Solvay schreibt sich in einer Kunsthochschule ein, merkt aber nach ein paar Wochen, dass die Zwänge schulischer Übungen nichts für sie sind. Lieber folgt sie ihrem Instinkt und entdeckt die Dinge in ihrem Rhythmus und auf ihre Weise.
„Ich brauche sehr viel Ruhe und Einsamkeit und meine Arbeit hängt sehr mit meiner inneren Entwicklung zusammen. Zugleich baut sie sich langsam auf und dieses Konzept des Raums in der Zeit ist für mich besonders wichtig.”
Die Arbeiten von Carole Solvay leben von Natur, Himmel, Licht und kaum wahrnehmbaren Bewegungen von Gras und Blättern. Ihr Leben ist voll von Vogelgeschichten. Sie hat sich nie bewusst dafür entschieden, mit Federn zu arbeiten, dies kam durch Zufall zustande, aber „da jede Erfahrung die nächste mit sich bringt, bin ich immer noch dabei.“
Mit der Zeit weitet sich ihre Arbeit aus, sie wird immer weniger bildlich und immer luftiger. Allmählich lässt sie das Materielle in Vergessenheit geraten und nimmt den Raum ein, formt das Licht.
Ihre Federn erheben sich in einem Spiel aus Formen und Konturen, sie zeichnen in der Luft, umranden die Leere, erbeben unter dem Hauch des Vorbeikommenden und erwachen als Puppe, schwebender Dunst, grüner Pelz, Quallenkolonie oder seidige Polypen zu neuem Leben.