Chaumont-Photo-sur-Loire 2022/2023
19. NOVEMBER 2022 - 26. FEBRUAR 2023
Diese fünfte Ausgabe von Chaumont-Photo-sur-Loire vereint vier Künstler, die der Reiz der Natur geduldig gemacht hat – ob sie sich nun entschieden haben, sie wie eine geistige Konstruktion zu betrachten, indem sie sich mit der Landschaft befassen oder als Summe unendlich einzigartiger Komponenten, indem sie Elemente aus ihrer natürlichen Umgebung herausnehmen.
Manche dieser Bilder zeigen Totalen, während andere sich auf ein Detail fokussieren und dem Betrachter ein manchmal makroskopisches, manchmal mikroskopisches Schauspiel eines Berges oder einer Blume bieten.
Die Natur wird durch das fotografische Prisma in einen Rahmen gesetzt, der in vielerlei Hinsicht an ein Gemälde erinnert. Jeder Fotograf handelt wie ein Maler und greift einen Teil der Realität heraus, um ihn zu verschönern oder in Fiktion zu verwandeln, indem er mit den Farben spielt, den Hintergrund oder auch alles andere entfernt, was die Aufnahme auf einen bestimmten Zeitpunkt datieren könnte… Dort, wo die Erinnerung verschwimmt, bekommt die Fantasie Flügel.
Die Liebhaber von Chaumont-sur-Loire kennen das Engagement der Domaine in Bezug auf die Schönheit und den Respekt gegenüber der Natur. Jede Ausgabe von Chaumont-Photo-sur-Loire ist somit eine Gelegenheit, die Aufmerksamkeit jedes Einzelnen auf den wertvollen Charakter unserer natürlichen Umgebung zu lenken und gleichzeitig außergewöhnliche Fotokünste zu feiern.
Dieser Respekt ist ein wichtiger Bestandteil des Werks von Michael Kenna, der das Wort „aufnehmen“ ablehnt und stattdessen das Geben betont. Der international anerkannte Fotograf erntet sozusagen, was die Natur ohne Zwang hergibt. Er lässt die Landschaft im Bild entstehen, die er im immer gleichen, kleinen Format zu entdecken gibt. Als unverbesserlicher Beobachter kam er in den Historischen Park der Domaine, um die Serie der Bäume zu vollenden, die im Schloss ausgestellt wird.
Die erhabenen Blumen, Früchte und Details der Natur von Denis Brihat ziehen den Betrachter wiederum in einer ganz anderen Kategorie in ihren Bann. Wie Erscheinungen tauchen sie aus dem Weiß auf und setzen sich über jede natürliche Umgebung hinweg. Kaum wiedererkennbar geben sie sich als feine, lebendige Modelle den Posen hin. Der große Pädagoge und bedeutende Künstler Denis Brihat, der sich seiner Kunst verschrieben hat, schafft „fotografische Gemälde“, die die Früchte einer sowohl ästhetischen als auch philosophischen Suche sind. Sie werden in den Bereichen des Agnès-Varda-Hofs ausgestellt.
Absolut einzigartig sind auch die Bilder, die von Éric Bourret beigetragen werden. Sie entstammen zweier Serien: der unveröffentlichten Serie Arbos, die aus seinen Spaziergängen an den Ufern der Loire entstand und der Serie Primary Forest von seinen Wanderungen auf den Makaronesischen Inseln und durch die Urwälder Chinas und Finnlands. Wenn der Fotograf monatelang durch die Welt streift, tut er dies, um die Bewegung jedes erkundeten Gebiets besser zu erfassen. „Der Fotospaziergang macht die Erfahrung der durchquerten Landschaft lesbar“, pflegt er zu sagen. Jedes seiner Bilder beinhaltet eine physische Erfahrung – jene eines Auges oder Körpers, die die langsame, aber unabwendbare Veränderung der Erde begleitet. Seine großformatigen Bilder werden im Schloss ausgestellt.
Die Fotografien von FLORE werden im von einem prachtvollen Kronleuchter erhellten Eselsgehege installiert. Es wurde eine für die Fiktion geeignete Umgebung gebraucht, um L’odeur de la nuit était celle du jasmin (Der Duft der Nacht war der Duft nach Jasmin) zu beherbergen. Wie die Seiten eines Reisetagebuches laden diese mit Tee gefärbten und gewachsten Schwarz-Weiß-Aufnahmen dazu ein, sich auf die Spuren der jungen Marguerite Duras in Indochina zu begeben. Für die Fotografin ist die Aufnahme nichts weiter als eine Schritt. Danach kommt die Suche nach einer bestimmten Körnung, Unschärfe, Tiefe des Schwarz… Die Arbeit an der Erinnerung verschmilzt mit der Arbeit an der Materie.
An der Schnittstelle dieser vier Universen stehen Zeit und Stille. Eine vielfältige Zeit – angehalten oder wiedergefunden, festgehalten oder am Werk – und eine einzige Stille, eine Stille des Lebens. Zwei Komponenten der Fotografie, die den Schönheiten der Natur die Möglichkeit gibt, sich bestaunen zu lassen.
Chantal Colleu-Dumond
Kuratorin von Chaumont-Photo-sur-Loire