Stallungen
14. Marc Nucera
"Sculptures"
published at 04/01/2021
„Marc Nucera ist ein hervorragender Bildhauer und ein versierter Kenner der Pflanzenwelt. Über die Bäume und ihren Lebensatem weiß er genauestens Bescheid, von ihren Geheimnissen und ihren Formen entgeht ihm nichts. Oftmals lässt er sich von einem poetischen, metaphernreichen Strom davontragen, der ihn durch seine spürbare Kraft manchmal allerdings auch zu überraschen scheint. Dieser eigentümliche Künstler fühlt tief in seinem Inneren die Rhythmen und Gesetze, die die Natur bestimmen, sowie sämtliche unsichtbare Verbindungen zwischen den Elementen. Indem er Verletzungen am Holz spielend meistert, scheint er eine tiefgreifende Botschaft zu entschlüsseln und zu transkribieren, die nur er erfassen kann und weitergeben will.
[…] Er handhabt seine Werkzeuge mit einer unvergleichlichen Virtuosität, in der sich Behutsamkeit und Entschlossenheit vermischen. Plissees, Verzerrungen, die in den Händen dieses außergewöhnlichen Bearbeiters von Formen und unbewegter oder lebendiger Materie entstehen, treiben ihr Spiel mit Schatten und Licht und vermitteln den Eindruck einer Liquidität, einer fließenden Weichheit, eines Schmelzens harter Substanz, der Zypresse, Zeder oder Platane, die er mit einer unerschütterlichen Beharrlichkeit verarbeitet. Die Plastizität, die Formschönheit seiner Skulpturen sind in der Tat ein Wunder an Geschmeidigkeit und Finesse.“ Chantal Colleu-Dumond, aus Marc Nucera, Actes Sud, 2020.
„Schon bei seinen ersten Arbeiten (1990, Cœurs d’arbres) steht Marc Nucera in direkter Verbindung mit den natürlichen Elementen. Anfangs pflegt er lange topiarischen Umgang mit Bäumen, arbeitet geduldig an ihren Zweigen, damit sie sich über die Jahre hinweg in Abhängigkeit der natürlichen Beschaffenheit und des Lebensraums möglichst harmonisch entwickeln. Seine Einsätze führt er auf privaten Anwesen in den provenzalischen Gebirgsketten Alpilles und Lubéron durch und, als sich sein Ruf ausweitet und sein Freundeskreis wächst, weit über diese Gebiete hinaus.
Danach beginnt er sich für Baumstämme zu interessieren. Jeder wird anhand seines Durchmessers und seiner Länge ausgewählt und in seinem Freilichtatelier bearbeitet. Zunächst werden die Stämme für einfache Zwecke, als Sitzgelegenheiten oder Tische für draußen gestaltet, manchmal in eine einheitliche Form eingefügt, andere Male aufgereiht oder übereinandergestapelt, wie bei den Architektonen von Malevitch, wobei sich ihre sanfte Patina bei Wind und Wetter noch verschönert. In seinen Werken zeigt Marc Nucera ein faires Gleichgewicht zwischen der Einfachheit des Materials und des Gebrauchs. Das jüngste davon, eine in mehreren Variationen interpretierte, schraubenförmig gedrehte Bank, hat seinen Status als funktionales Objekt überwunden, um als Skulptur fester Bestandteil der Landschaft zu werden.
Die Arbeit emanzipiert sich hin zu freieren Formen, die vom Material selbst inspiriert werden, eine Kugel, die verästelt ist wie ein Tannenzapfen oder so wenig rund wie die Äste im Holz es suggerieren, Skulpturen, die so hoch sind wie die ursprünglichen Stämme es erlauben, deren Senkrechte sie rühmen: gedrehte (2004), aber auch ausgehöhlte, durchbrochene, durchbohrte Säulen, mit einer Arbeitsweise, die immer mehr Fingerfertigkeit erfordert.
Eine behauene Säule kann anthropomorph werden, ein Paar kann aus ihren Konturen zutage treten, Karyatiden und Titaniden mit imposanten Dimensionen erscheinen, mächtig und feminin (2009-2012). Jede von ihnen spielt ihre natürliche Herkunft auf eigentümliche Weise noch einmal in der Echtheit ihrer Größe, in der Macht ihrer Form, in der Offenkundigkeit ihrer Inspiration aus.
Der Künstler arbeitet mit zahlreichen Motorsägen und obwohl dieser Handgriff Kraft und Entschlossenheit erfordert, erlebt ihn Marc Nucera als feinfühlige Handlung, bei der er auf das Material hören muss, das er in seinem Sinne schneidet und aushöhlt, dessen Energie er respektiert und dessen Lebenskraft er rühmt.
Marc Nucera überzieht manche seiner Skulpturen oder Teile von ihnen mit einer „Haut“ oder einem Faltenmuster, das durch Kerben entsteht, eine lange Arbeit, die Geduld und Konzentration erfordert. Solche Falten- und Hohlraumeffekte stehen meist im Dialog mit den Maserungen und Krümmungen des Holzes, sie bringen diese zur Geltung. Sie können sie aber auch radikal durchbrechen, Einritzungen, die Materie aushöhlen, das Licht zum Spielen bringen, die Form modulieren und ihr Kontrast geben. Ihre Offenheit preist das natürliche Holzmaterial und festigt ihren bildhauerischen Willen.“ Françoise Bertaux
BIOGRAPHISCHE ANGABEN
Marc NUCERA
FRANKREICH
Als Sohn eines Kunsttischlers entwickelt Marc Nucera schon früh ein Gespür für verschiedene Holzarten. Als landwirtschaftlicher Arbeiter las er von den Baustellen große Holzblöcke aus Baumstämmen, die er bearbeitet hatte, auf und stapelte sie bei sich, ohne selbst recht zu wissen, warum. Als er den französisch-russischen Bildhauer Brancusi für sich entdeckte, offenbarten sich das Wesen der Materie und der ursprüngliche Zustand der Form für ihn als Kunst. Nachdem ihn der Landschaftsgärtner Alain-David Idoux in die zeitgenössische Kunst eingeweiht hat, schöpft Marc Nucera seine Inspiration aus dem Land Art von Robert Smithson und Richard Long und sogar aus dem Werk von Jean Arp und Louise Bourgeois.
Die Vorgehensweise Marc Nuceras variiert je nach den örtlichen Gegebenheiten seiner Wirkungsstätten. Schwer zu sagen, ob seine Arbeit in den Bereich der Architektur, der Landschaftsgärtnerei, der Handwerkskunst oder der Bildhauerei fällt. Nachdem er ortsspezifische Werke am lebenden Objekt geformt hat, beginnt seine Arbeit an toten Stämmen verschiedener Baumarten. Der Baum bewahrt seine Identität, seine Geschichte, seine Verletzungen.