A. Quayola
"Effets de soir" und "Pointillisme"
Mit dem Werk von Quayola, einer Weltpremiere, die auf einen speziellen Auftrag des Domaine zurückgeht und von der Region Centre-Val de Loire finanziert wurde, wird eine neue Galerie im Ostflügel des Schlosses eingeweiht, die das Ergebnis umfangreicher Restaurierungsarbeiten an den Böden und zur Entlastung der Decken ist. Dieser neue, 300 m2 große Raum ist zum ersten Mal für Besucher geöffnet.
Dank seiner unglaublichen Beherrschung digitaler Techniken und einer sehr großen malerischen Kompetenz bewegt sich Quayola permanent zwischen Kunst und Natur, Malerei und Pflanzenwelt.
Die Landschaften dienen als Ausgangspunkt – ein Vorwand, um innere Bewegung und Vorstellung zu gestalten. Über die Zweckentfremdung von Bildauswertung und Manipulation von Rechenregeln fordert er das fotografische Bild heraus und bietet alternative Sichtweisen und Synthesen an. Vertraute Landschaften – in Ultra-High-Definition aufgenommen – werden unter sorgfältiger Beachtung von Details und den anthropomorphen Formen der Bäume gezeigt. Dann wird die genaue Beschaffenheit des Blattwerks durch die Verwendung einer individuellen Software zu zweidimensionalen Volumenmassen in Richtung Abstraktion reduziert. Da die Umrisse von Bäumen und Sträuchern unscharf werden, wird die Natur dicht und beinahe undurchdringlich. Die daraus entstehenden Kompositionen werden andeutungsweise zwischen Darstellung und Abstraktion unterbrochen, zwischen der Tiefe der natürlichen Kulisse und der Oberfläche des Bildschirms. Im Gegensatz zu dieser Vorstellung lösen Rohdaten-Visualisierungen von Farben und Bewegungsinformationen beschauliche digitale Malereien ab, um uns daran zu erinnern, was wirklich unter der Oberfläche liegt. Er würdigt die moderne Tradition westlicher Kunst, bei der die Landschaft als ein Ausgangspunkt zur Abstraktion genommen wird, indem die Komplexität der Welt zu einer neuen alternativen Synthese reduziert wird.
Quayola entführt uns dank digitaler Technik in eine faszinierende „impressionistische“ Welt und nimmt Bezug auf die letzten Werke von Claude Monet. Die Wiederholung dieser Reihe von Kunstwerken befasst sich mit der Art und Weise, wie die Natur beobachtet, untersucht und synthetisiert wird, und legt den Grundstein zur Abstraktion.
Quayola hat die Bedingungen nachgestellt, die mit den klassischen impressionistischen Malereien vergleichbar sind, hat jedoch ausgefeilte technologische Hilfsmittel verwendet, um die feinen Nuancen der Realität einzufangen, die über unsere Sinne hinausgehen. Hier werden Naturlandschaften durch das Auge der Maschine beobachtet und analysiert und dann durch neue Arten visueller Synthese modelliert.
Effets de Soir
Effets de Soir (Abendliche Effekte) ist der im Morgengrauen oder in der Abenddämmerung wahrnehmbare Licht- und Farbeffekt, wenn Licht und Schatten, warme und kalte Farben ineinander übergehen. Zahlreiche Maler von Monet bis van Gogh haben versucht, diese Impression auf die Leinwand zu bringen und eine regelrechte Maltechnik entwickelt. Quayola stellt sich diesem Erbe, indem er seine abendlichen Effekte gestaltet – eine Kombination aus natürlichen und künstlichen Reizen. Effets de Soir von Quayola ist ein Video, welches auf Fotografien von im Dunkeln aufgenommenen und von künstlichem Licht und Reflektoren beleuchteten Blumenarrangements basiert. Die hochauflösenden Bilder wurden in den üppigen Schlossgärten von Chaumont-sur-Loire aufgenommen und werden zur Quelle der Gestaltung für Quayolas Computerbilder. Es handelt sich um optische und akustische Abfolgen, in denen er kompositionelle Energien und Rhythmen erprobt. Die frontalen Ebenen der Pflanzenarrangements, dunkle Leinwände mit bunten Farbflecken, sind in geometrische Formen und in Farbeffekte zerlegt. Die menschliche und sentimentale Wahrnehmung der natürlichen Welt wird durch jene objektive und gründliche der Maschine ersetzt, welche die Natur dank einer Software, die so programmiert ist, dass sie deren Elemente zerlegt und analysiert, „sieht“ und „wiedererkennt“. Die Bilder der Analyse und der Fehlerbeseitigung legen sich zwischen bildhafte Videos, die von Rechenalgorithmen erzeugt werden. Das Gemälde wird analytisch, es gibt nicht länger die Welt oder ihren Eindruck wider, sondern wird überarbeitet und neu codiert. In den Werken von Quayola wird der „Gedanke“, die „forma mentis“ der Maschine zum Gemälde. Die Dynamik der Arrangements, die Pinselstriche, die Rhythmen und Ströme sind die Offenbarung der Softwarestruktur. Die Algorithmen entwickeln in einer faszinierenden Gleichartigkeit zwischen der natürlichen und der computerbasierten Welt organische Dynamiken und Prozesse. „In beiden Bereichen, in der Natur und in der Digitaltechnik, finden wir einen generativen Prozess wieder, der seiner eigenen, unabhängigen Logik folgt und der Realität eine konstante Entwicklung erlaubt. Quayola erfindet eine neue Form des Impressionismus, indem er eine künstliche Natur erschafft, die der natürlichen Welt in Wirklichkeit sehr nahe ist“, erklärt Jérôme Neutres.
Pointillisme
BIOGRAPHISCHE ANGABEN
Quayola wird 1982 in Rom geboren. Schon früh versucht er, sich von der italienischen Hauptstadt und ihrer geschichtsträchtigen Symbolik zu distanzieren, indem er im Alter von 19 Jahren beschließt, nach London zu ziehen. Hier sucht er nach neuen Themen, einer neuen Sprache und einer neuen Ausdrucksweise. 2005 erwirbt er einen Bachelor of Arts an der University of London. Er experimentiert weiter und wird 2013 mit einer Goldenen Nica beim Ars Electronica Preis in Linz (Österreich) ausgezeichnet.
Quayola, der für seine hintergründigen Videoinstallationen geachtet wird, kreiert Bereiche mit einer Mischung aus bewegter Malerei und Bildhauerei. Durch den Einsatz audiovisueller Darstellungs-, Zeichnungs-, Fotografie- und Softwareprogrammier-Verfahren untersucht er eine schmale Grenze zwischen Realem und Künstlichem.
Dank einiger Sonderaufträge von öffentlichen Institutionen genießt er einen außergewöhnlichen Zugang zur Kunst und Architektur einiger Kirchen, Theater und Museen in Europa, wie z. B. der Notre Dame und des Vatikans. In Videoform erkundet er einen Dialog über Archive, Kollagen, geistiges Eigentum und die Wertschätzung eines Objekts, inspiriert durch die Umsetzung des Google Art Project, durch das ein noch nie dagewesener Zugang zur Oberfläche von Gemälden ermöglicht wird. Doch erst wenn wir ein Gemälde betrachten, tritt seine Logik zutage, als ob wir unter dem Bild graben würden, um es freizulegen.
Quayola wirkt auch häufig bei Musikprojekten mit und hat zusammen mit Komponisten, Orchestern und Musikern gearbeitet, unter anderem mit dem Ensemble Intercontemporain, Vanessa Wagner, Mira Calix, Plaid, Matthias Kispert und dem Nationalorchester von Bordeaux-Aquitaine.
Sein Werk Jardins d’Été (Sommergärten), das 2017 in Chaumont-sur-Loire ausgestellt wird, ist das Ergebnis eines Aufenthalts im Domaine im Sommer 2016, bei dem der Künstler sich in die Gärten von Chaumont-sur-Loire vertiefte.
2018 nimmt er an der zweiten Ausgabe von Chaumont-Photo-sur-Loire teil und präsentiert eine Reihe unveröffentlichter Bilder, die während eines Aufenthalts im Domaine entstanden sind. Es handelt sich um großformatige fotografische Abzüge in Schwarzweiß und Ultrahochauflösung, die einen Baum im Park, in dem die Besucher ein- und ausgehen, auseinandernehmen und wieder zusammensetzen. Die Szenografie auf schwarzem Hintergrund unterstreicht neben der wissenschaftlichen Forschung und den gesammelten Daten auch den luftigen Aspekt seiner Arbeit.
Im Jahr darauf zeigt er in Shanghai die Ausstellung Asymmetric Archaeology Gazing Machines, die die Vergangenheit neu erfindet und die Natur durch die Perspektive der Maschine neu entdeckt. Im Jahr 2020 leistet er einen Beitrag zu mehreren Gruppenausstellungen in China, Frankreich und Italien, unter anderem mit einer Installation im Herzen des Kunstmuseums Arte Sella.