Schloss
Pascal Convert
"Bibliothèque cristallisée" und "Ceux de 14"
published at 31/01/2020
Bibliothèque cristallisée
Spiritualität, Erinnerung und Sinn stehen im Mittelpunkt des mysteriösen und zugleich tiefsinnigen Werkes von Pascal Convert. Seine Arbeit befasst sich im Wesentlichen mit der Spur des Vergangenen und der Verweigerung des Vergessens. Diese Spur unterhält besondere Verbindungen mit allem Verschwundenen, seien es Gegenstände oder Lebewesen. Oft bedient er sich der Methode der Kristallisierung: schmelzflüssiges Glas wird auf Gegenstände gegossen und greift nach und nach das Material der Bücher oder das Holz der Skulpturen an, wie bei einer Transsubstantiation, einer besonderen Alchimie, die die Seele des Textes zurückbehält.
Die „Cristallisation au livre perdu” besteht darin, ein Buch und seinen Inhalt durch schmelzflüssiges Glas zu zerstören, das nach und nach an die Stelle des Buches tritt. Daraus entsteht ein geisterhaftes Objekt, ein kristallisiertes Werk, das zu Glas verschmolzene Erinnerungen in sich trägt. Die verkohlten Überreste des anfänglichen Buches bleiben im Herzen der Skulptur erhalten. Der Abdruck, die Spur sind allgegenwärtige Themen im Werk von Pascal Convert, das mit den Motiven Krieg, Zerstörung und Widerstand verbunden ist.
„Er setzt oft Abdruck- und Nachbildungsvorgänge ein, um mithilfe von Materialien wie Wachs, Metall oder Glas Spuren aufzuzeigen, die die Geschichte hinterlassen hat. Mit Unterstützung eines Glasbläsermeisters erschafft er durch Umwandlung eine Kopie der Bücher, führt aber gleichzeitig die Zerstörung der Originale herbei. Nach dem Abkühlen bleibt eine gläserne Nachbildung eines jeden Buches zurück, erstarrt bis in alle Ewigkeit, die in ihrem Material die Spur des Originals und seiner Zerstörung durch das Feuer zurückbehält. Diese Fragmente erinnern an die zahllosen Bibliotheken, die von totalitären Mächten verbrannt wurden.“
Passend dazu werden die vom Feuer kristallisierten Bücher Pascal Converts in der 1957 von einem Brand zerstörten Broglie-Bibliothek des Châteaus zu sehen sein, als eine Art gerechter Wiederkehr der verbrannten Werke.
CEUX DE 14
Der Künstler wird außerdem Baumstümpfe zeigen, manche aus mit Tusche bestrichenem Holz, andere zu Glas verschmolzen, die von den Schlachtfeldern von Verdun stammen. Überwältigend, voll von sich überlagernden Erinnerungen, hinterlassen sie eine kraftvolle Spur in den Gemütern.
„Der Baumstumpf ist ein Objekt der Tiefe, aber auch der Ausdehnung: er kommt noch aus der Wurzel und schon aus dem Geäst. Er umschließt in seiner Masse eine beachtliche Energie, weitet sie aber auch in seine Baumstrukturen, seine Tentakeln, seine seeigelartigen Stacheln aus. Mit seinem Gewirr aus dynamischen Unregelmäßigkeiten evoziert er einerseits das bewegte Leben, mit seinem versteinerten, ja schon mineralischen Aussehen andererseits das zum Stillstand gekommene Leben. Seine grafischen Formen machen ihn zu einem ziselierten, ornamentalen, ungemein präzisen und preziösen Objekt; seine gewaltige, trockene, zerrissene Masse jedoch lässt ihn als etwas erscheinen, das mühelos an eine große Scherbe erinnert, den Überrest einer sintflutartigen Katastrophe. Ein Baumstumpf ist sowohl wachsender Organismus und somit etwas Wichtiges, als auch der verkohlte Überrest eines Blitzschlages und somit etwas Unwesentliches. Er ist ebenso regelmäßig im Boden, wo er wächst, wie unstet und absurd, wenn er auf dem Boden abgelegt wird. Der Baumstumpf ist eine Masse organischer Zeit, denn in ihm konzentriert sich der ganze Entstehungsprozess, das ganze Wachstum des Baumes, den er trägt. Er ist aber auch ein räumliches Geflecht, bildhauerische Grundlage und grafisches System der Raumergreifung, die der Baum schließlich immer vollendet.“ Georges Didi-Huberman, La demeure, la souche, apparentements de l’artiste, 1999.
BIOGRAPHISCHE ANGABEN
Pascal CONVERT
FRANKREICH
Als Sohn eines Künstlers wird Pascal Convert 1957 in Mont-de Marsan geboren. Er ist zugleich plastischer Künstler, Schriftsteller und Regisseur und bezeichnet seine Arbeit als Archäologie der Architektur, der Kindheit, der Geschichte, des Körpers und der Zeiten. Er greift auf Materialien wie Glas und Wachs zurück, die ans Verrinnen der Zeit, an Licht und an die fortbestehenden Eindrücke der Vergangenheit erinnern. 1987, als er gerade in Bordeaux lebt, bedeckt er die Holztafeln eines Raumes in seiner Wohnung mit Glasplatten und beginnt damit seine Reihe Appartement de l’artiste. 1989 und 1990 residiert er in der Villa Medici in Rom. Im Jahr 1992 hat er seine erste bedeutsame Einzelausstellung im CAPC in Bordeaux. 1997 wird er vom Philosophen und Kunsthistoriker Georges Didi-Huberman eingeladen, an der Ausstellung L’Empreinte im Centre Pompidou an der Seite von Künstlern wie Giuseppe Penone, Man Ray und Alain Fleischer teilzunehmen. Georges Didi-Huberman widmet ihm mehrere Werke bei den Éditions de Minuit und beteiligt ihn an zahlreichen Ausstellungen. 2002 wird sein Denkmal für die von 1941 bis 1944 am Mont Valérien erschossenen Widerstandskämpfer und Geiseln eingeweiht (Mémorial de la France combattante, Suresnes). Dabei handelt es sich um einen Auftrag des Verteidigungsministeriums auf Vorschlag von Robert Badinter. Gegenüber der Kapelle, in der die Verurteilten eingesperrt wurden, bevor sie zum Ort ihrer Hinrichtung geführt wurden, errichtet Pascal Convert eine 2,70 x 2,18 m große Bronzeglocke, in die die Namen der Verstorbenen eingraviert sind. An diese Arbeit anknüpfend dreht er im Jahr 2003 den Dokumentarfilm Mont Valérien, aux noms des fusillés.
2007 sind in seiner Ausstellung Lamento im Mudam (Luxemburg) Wachsskulpturen zu sehen, die von symbolträchtigen Pressefotos inspiriert sind: La Pietà du Kosovo (1999-2000) nach einem Foto von Georges Mérillon, La Madone de Bentalha (2001-2002) nach einem Foto von Hocine Zaourar und La Mort de Mohamed Al Dura (2002-2003) nach Bildschirmfotos aus einem Video von Talal Abou Rahmed. Diese Skulpturen werden in den USA, Montréal, der Schweiz und Italien großzügig ausgestellt. Im selben Jahr veröffentlicht er eine Biografie von Joseph Epstein, führender Kopf des kommunistischen Widerstandes in Paris, der im Jahr 1944 am Mont Valérien erschossen wurde.
2008 vollendet er ein Fensterensemble für die Abteikirche von Saint-Gildas-des-Bois (Département Loire-Atlantique). Bald darauf stellt er bei der Force de l‘Art im Grand Palais (Paris) 2009 eine riesige Kristallskulptur aus, Le Temps scellé: Joseph Epstein et son fils. Darüber hinaus dreht er noch den Dokumentarfilm Joseph Epstein: bon pour la légende. Nach vier Jahren Arbeit veröffentlicht er eine weitere Biografie, Raymond Aubrac: résister, reconstruire, transmettre (Seuil, 2011) und widmet dieser Persönlichkeit zwei Dokumentarfilme. Zwei Jahre später erscheint die autobiografische Erzählung La Constellation du Lion (Grasset). 2014 nimmt er an der Biennale von Busan in Südkorea teil, sowie an der kollektiven Ausstellung Der Krieg, der kommen wird, ist nicht der erste: 1914-2014 im Museum für moderne und zeitgenössische Kunst von Trient und Rovereto in Italien.
2016 nimmt er an der interdisziplinären Ausstellung Soulèvements in der Galerie Jeu de Paume in Paris teil. Das Jahr ist insbesondere von einer Einladung der Französischen Botschaft in Afghanistan zum 15. Jahrestag der Zerstörung der Buddha-Statuen von Bamiyan durch die Taliban geprägt. In Zusammenarbeit mit dem Unternehmen ICONEM, das auf Archäologie in Konfliktzonen spezialisiert ist, stellt er eine Mission auf die Beine. Mithilfe von Drohnen scannt er den kompletten Felsen von Bamiyan und stellt die Bilder der internationalen Wissenschaftsgemeinde frei zur Verfügung. Mit einem hochpräzisen Gerät fertigt er einen „fotografischen Abdruck“ des Ortes an, an dem die Monumentalwerke vor rund 1.600 Jahren in den Fels gehauen wurden.
2019 widmet ihm die Galerie Éric Dupont eine Einzelausstellung, Trois arbres. Durch seine Arbeit rund um Birkenrinden aus dem Krematorium V von Auschwitz-Birkenau, um einen verstrahlten Kirschbaum aus Hiroshima und steinerne Bäume des Lebens der armenischen „Chatschkar“ versucht sich Pascal Convert mittels einer familiären, kulturellen und historischen Archäologie vorzustellen, was in unserer jüngsten Geschichte Zerstörung überlebt hat.